04.01.2020 .... Martha hätte heute Geburtstag, wenn sie noch lebte...



04.01.2020

Martha Kitzmann, meine Oma, wäre heute 114 geworden, wenn sie noch lebte.

Martha Kitzmann, geborene Philips,  starb am 30.12.2002 und wurde am 04.01.2003 beerdigt,
an dem Tag wäre sie 97 Jahre alt geworden.

Unsere Oma war ein sehr zäher  und eigenwilliger Mensch. Nicht zuletzt durch ihren starken Willen und ihren unbändigen Glauben (sie war Zeugin Jehovas) setzte sie sich immer durch und hatte  zudem einen starken Überlebenswillen.

Am 04.01.1906  in Duisburg geboren. Das Kind von Zeugen  Jehovas. Der Großvater arbeitete als Heilpraktiker. Die Mutter verstarb, als Martha  vier  Jahre alt war, bei der Geburt der Schwester Lisa an Kindbettfieber, wie so viele  Mütter damals. Der Vater heiratete bald erneut. Martha und ihre Geschwister bekamen eine Stiefmutter im wahrsten Sinne des  Wortes. Martha mußte schon als Kind ihre Schwester Lisa und die Halbgeschwister, die dann noch geboren wurden (es waren einige, aber wieviele, weiß ich nicht genau) mit versorgen und im Haushalt helfen, obwohl sie als Kind damit komplett überfordert war. Das nahm wohl die Stiefmutter rücksichtslos in Kauf, sie empfand keinerlei Liebe für sie oder für irgendjemanden sonst. Obwohl Martha angeblich das Zeug zur Hochschule hatte, mußte sie die Schule mit 14 Jahren verlassen und in der Fabrik arbeiten, wie ihr Vater.

Der Verlust der Mutter war für sie bis ins hohe Alter sehr schlimm. Immer wieder erzählte sie uns später davon. Und auch davon, wie gern sie studiert hätte.

Mit 23 Jahren heiratete Martha Karl Kitzmann. Ob die beiden zusammen geführt wurden, wie es damals bei Zeugen Jehovas üblich war, oder ob die beiden sich verliebt haben, weiß ich nicht. Laut Aussagen meiner Mutter und ihrer Schwester (Tante Ursel) war mein Opa Karl Zeit seines Lebens ein sehr gütiger gutmütiger und liebevoller  Mensch und  Vater. Außergewöhnlich für die damalige Zeit, denn meine Oma Martha war das "Familienoberhaupt" und bestimmte "wo es lang ging". Mein Opa Karl war von Beruf Elektriker und hatte stets Arbeit, später auch bei der KVG in Kassel als Ankerwickler. Martha hat immer am ersten des Monats das gesamte Gehalt von Karl abgeholt und eingeteilt. Mit 24 Jahren wurden sie Eltern, Ursula kam auf die Welt, dreieinhalb Jahre später Gisela, meine Mutter.

Bedingt durch das strenge  Regiment der Mutter wollten die Töchter Ursula und Gisela möglichst schnell aus dem Haus. Beide haben mit 15 Jahren eine Ausbildung als Zahnarzthelferin begonnen und diese wegen Schwangerschaft abbrechen müssen. Ursel heiratete mit 19 Jahren und meine Mutter Gisela mit 18 Jahren. Mit der Ehe von Ursula war Martha einverstanden, da sie ihren Ehemann ( mein Onkel Kurt, der heute mit 92 noch lebt) sehr mochte, vor allem, weil dieser religiös ist und neuapostolisch. Trotzdem hätte sie es lieber gesehen, wenn Ursula ihre Ausbildung beendet hätte, und später "unberührt" in die Ehe gegangen wäre, und nicht schon mit 19 Jahren einen Sohn, Reinald, bekommen hätte. Bei meiner Mutter Gisela war sie auch schon deswegen gegen die Verbindung mit Willi, weil dieser aus sehr chaotischen Verhältnissen kam, wo beide Eltern stets feierten und nie treu waren, die Kinder Willi, Ernst und  Norbert schon früh auf sich gestellt. Zudem zeichnete sich bereits damals ab, daß Willi oft jähzornig und unberechenbar reagierte, wobei sie mit ihren Bedenken bis zuletzt richtig lag. Dennoch konnte und wollte Martha nicht verhindern, daß Gisela Willi auch dann nicht verließ, als sie das erste Kind bei der Geburt verlor (es hatte einen Wasserkopf). Als die Schwangerschaft gekannt wurde, holte Martha das gesamte Geld vom Konto und richtete die Hochzeit von Willi und Gisela damit aus, obwohl sie  eigentlich dagegen war, Vielleicht auch, weil es bei Zeugen Jehovas so üblich ist, daß die Frau den Mann, der sie entjungfert, heiraten muß.

Zeit ihres Lebens war Oma Martha für die Familie da, das war  zum einen sehr schön.

Als mein Bruder Harald in 1954 geboren wurde, hat sie ihn "miterzogen bzw. großgezogen", weil  meine Mutter nach ihrem dafürhalten nicht reif genug dafür war. In 1956 hatte meine Mutter eine Totgeburt und in 1957 eine Fehlgeburt. Als meine Eltern in 1958 den Hausbau in Kassel Wolfsanger planten, wollte meine Mutter unbedingt schwanger werden, weil sie den Aberglauben hatte, daß ein Kind geboren werden muß, wenn man in ein Haus zieht, sonst stirbt ein anderer aus der Familie. Da Opa Karl schon damals sehr krank war und u.a. wegen Asthma frühberentet, war sie in Sorge, daß er sterben würde, wenn sie schon wieder ein Kind verliert. In der Schwangerschaft mit mir gab es Komplikationen, meine Mutter hatte schwere Blutungen und der Arzt "wollte ihr helfen mit einem Abbruch". Meine Mutter spürte, daß es ein Mädchen wird, außerdem wollte sie "mich schon wegen des Aberglaubens " nicht hergeben. Somit habe ich mein Leben der Beharrlichkeit und dem Aberglauben meiner Mutter zu verdanken. Trotzdem verstarb mein über alles geliebter Opa Karl in 1966, als ich noch nicht einmal sieben Jahre alt war,  im Krankenhaus  unter dem Sauerstoffzelt an den Folgen des Asthmas ...  Vielleicht ist auch das der Grund für meine ständige Angst vor dem Tod...

Jedenfalls gab der Arzt meiner Mutter Morphium und somit hörten die Blutungen auf.

Als in 1965 meine Schwester geboren wurde, hatte sie ihr Leben nicht zuletzt unserer Oma Martha zu verdanken. Meine Mutter bemerkte die Schwangerschaft erst im fünften Monat. Der Arzt hatte ihr von weiteren Schwangerschaften abgeraten, und riet ihr auch zum Abbruch, da eine Geburt lebensgefährlich sein könnte. Die Zeugen Jehovas verbieten Schwangerschaftsabbrüche, selbst wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Gott sei Dank ist alles gut gegangen, obwohl es dann doch eine schwere Geburt war, noch dazu wurde unser Haus umgebaut und erweitert und meine Mutter mußte den Getränkeverkauf in der Filiale in unserem Haus allein schaffen, obwohl sie ein neugeborenes zu versorgen hatte. Dadurch wurde meine Schwester überwiegend von Oma Martha betreut und erzogen, sie kümmerte sich auch  weiter um meinen Bruder und mich, eigentlich wie eine zweite Mutter, Nanny und Haushälterin.

Das Bild oben zeigt Martha, als sie mit uns im Urlaub war, in Bad Wildungen, 1969.

Durch ihre Eigenwilligkeit hatte ich eine sehr differenzierte Meinung zu unserer Oma. Bis zum Schulanfang habe ich sie sehr geliebt, dann entstand durch ihr widersprüchliches Verhalten bedingt bei mir nach und nach eine Art Hassliebe. Was mich sehr an ihr störte, war ihre Art, anderen ihre Meinung aufzuzwingen, den Menschen ihre Freiheit zu nehmen ( wir sollten keine Partys feiern und nicht rauchen etc) was später auch als Diktatur ausartete, obwohl sie genau das an unserem Vater, ihrem Schwiegersohn verurteilte. Ab dem 90. Lebensjahr wurde Martha zudem  von unserer Mutter gepflegt, später bis zum Tode mit Hilfe eines Pflegedienstes. Das kostete unsere Mutter und auch uns sehr viel Kraft

Kurz nach dem Tode Marthas  bekam meine Mutter ihre erste Hirnblutung. Ihr Einsatz für ihre Familie und ihre Mutter hatte Spuren hinterlassen. Es war zu viel.  Ich war sehr wütend auf meine Oma.

Dennoch verzeihe ich Oma,  weil ich das alles auf ihre schwere Kindheit zurückführe.

... Gott hab sie selig.

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